15/12/14

„Deutschland ist das Problem“

Wiener Zeitung – Leitartikel von Reinhard Göweil:
Ausgabe vom 16. Dezember 2014
"Deutschlands Politik hat sich auf den öffentlichen Haushalt und die Exportindustrie konzentriert. Das ist - bei allem Respekt vor der wirtschaftlichen Leistung - gesellschaftspolitisch ein bisschen wenig. Gute Autos zu bauen ist kein Konzept. Europa benötigt aber ein politisches Konzept. Daher sollten die Deutschen anfangen, ihre Schwächen zu sehen und zu beheben. Das größte EU-Land bleiben sie ja trotzdem."


Wien (OTS) - Auslöser der Krise waren zuerst die Banken, danach die Griechen. Kein Mensch sprach von Deutschland. Sieben Jahre später ist dies anders. Der "deutsche Hegemon", der seine Rezepte der gesamten EU überstülpen möchte, wird mit wachsender Skepsis betrachtet. Zu Recht.

Vom deutschen Außenhandelsüberschuss in Höhe von 200 Milliarden Euro entfallen 110 Milliarden auf die anderen 27 EU-Länder. Deutschlands Glanz und Gloria innerhalb der EU bezahlen also die anderen Partner, die sich in Brüssel dafür anhören dürfen, dass sie vermutlich zu faul und unfähig seien.

Wenig berechenbar sind die Deutschen auch. Kanzlerin Angela Merkel pochte auf harte EU-Sanktionen gegen Russland, was sie aber nun nicht hindert, Russland als "verlässlichen Partner" zu bezeichnen. Die Hoffnung auf Erdgas aus der eigentlich abgesagten South-Stream-Pipeline ist stärker als europäische Solidarität. Zugleich fördert das reiche Deutschland seine Ökostrom-Betreiber mit 22 Milliarden Euro jährlich und bringt damit die Energiebranche europaweit in die Bredouille.

Die Deutschen tun, was ihnen passt - dieser Eindruck entsteht derzeit in den anderen europäischen Hauptstädten. Frankreich und Italien schimpfen schon seit geraumer Zeit. Finanzminister Wolfgang Schäuble antwortet genüsslich, dass sein Land bis 2018 Budgetüberschüsse machen wird - im Gegensatz zu den Kritikern in Paris und Rom. Auch diese verengte Betrachtung ist eine deutsche Erfindung.

Nicht nachgefragt werden dagegen andere Parameter. Deutschlands Infrastruktur (Autobahnen, Stromnetze, Brücken, Schienen) ist in einem stark verbesserungswürdigen Zustand. Beim Glasfaser-Ausbau liegt Deutschland EU-weit auf dem letzten Platz. Und in der Hartz-IV-Landschaft gedeihen zukünftige Pensionisten, die unter der Armutsgrenze leben werden, während in Frankreich die hohe Geburtenrate ein stabileres Pensionssystem ermöglicht.

Deutschlands Politik hat sich auf den öffentlichen Haushalt und die Exportindustrie konzentriert. Das ist - bei allem Respekt vor der wirtschaftlichen Leistung - gesellschaftspolitisch ein bisschen wenig. Gute Autos zu bauen ist kein Konzept. Europa benötigt aber ein politisches Konzept. Daher sollten die Deutschen anfangen, ihre Schwächen zu sehen und zu beheben. Das größte EU-Land bleiben sie ja trotzdem.

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